Liebe, vernachlässigte Freunde und liebe, vernachlässigte Freundin,
ich habe mich, daß sehe ich ein, lange nicht gemeldet. Ich hoffe, ihr seid mir deswegen nicht böse, und wenn doch, so akzeptiere ich das und gestehe euch dieses Recht durchaus zu, muss aber in aller Freundschaft hinzufügen: Heult doch.
Warum ich schreibe:
Ich hatte vor ca. 100 Jahren einen kleinen Ergänzungstext zu Numas begonnen, der sich damit beschäftigen sollte, wie Linke in ihrer Jugend geprägt und geformt werden, wie sie zu Ansichten kommen usf. Dieser Text war lange verschollen, just aber habe ich ihn wiedergefunden. Ich muss sagen, daß ich das gesteckte Ziel nicht erreicht habe, ich finde den Text aber dennoch lesenswert und möchte euch ungern damit verschonen. Hier nun also:
Versuch einer Skizze der Entstehung eines Linken
Ich bin jung, mein Herz ist voll Schwung, soll niemand drin wohnen als Mao Tse Tung. - Robert Gernhardt
Wenn wir uns fragen, warum die jungen Linken und Ultralinken zu diesen, von Numa beschriebenen Ansichten kommen (und warum die älteren Linken, die keine Entwicklung zu zeigen scheinen, bei solchen Ansichten bleiben), dann ist es nicht unsinnig zu untersuchen, auf welchem Weg sie überhaupt ins linke Lager gelangen, denn wie ich versuchen werde zu zeigen, liegen schon da Eckpunkte ihrer geistigen Entwicklung, die entweder zu den von Numa geschilderten Ansichten führen und sie fördern oder aber dann von diesen Ansichten wiederum gefördert werden, denn ich denke tatsächlich, daß es hier eine Wechselwirkung gibt.
Am Anfang steht, wenig überraschend, der Imperialismus bzw. die durch ihn hervorgebrachte Gesellschaft. Es erscheint mühselig, das noch zu erwähnen, aber diese Feststellung hat mehrere Ebenen. Zum einen ist es quasi selbstverständlich, die Einflüsse des Imperialismus auf die Menschen, besonders jene, die keine andere Welt erlebt haben, zu erwähnen, denn wer möchte abstreiten, daß wir alle, der eine anders als der andere, von der Weltordnung beeinflusst werden? Aber in der Art, und das zum zweiten, wie der heutige Imperialismus aussieht, sich gibt und mit der Geschichte umgeht, liegt ein entscheidener Faktor.
Der Einstieg vieler, wenn nicht fast aller jungen Linken, erfolgt über den Antifaschismus.
Der Antifaschismus ist heutzutage besonders präsent in seiner übertrieben kompensierenden, vereinzelten (das heißt, nicht als von staatlicher Seite allgegenwärtig und selbstverständlich gemachten) und dabei also gänzlich für den Imperialismus ungefährlichen Variante. Das Wiederaufkeimen des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit seit der Konterrevolution ist nicht dadurch bedingt, daß die Regierung zu wenig tun würde, sondern durch die Verhältnisse selbst, das momentane Handeln der Regierung hat mit Minderung von Fremdenfeindlichkeit oder der Schaffung von Sicherheit überhaupt nichts zu tun. Neonazis, Xenophobe, Homophobe und dergleichen mehr sind wieder ein Thema. Und wenn man als junger, verwirrter Mensch nicht selbst in derlei Kreise gerät, so stellen sie, je nach eigener sozialer Lage, auch ein ganz akutes Problem und/oder eine Gefahr dar. Man hat also natürlicherweise eine Abneigung gegen und zumeist auch Angst vor derlei. Das ist ein überall zu beobachtendes Phänomen, ich denke, daß das keiner abstreiten wird.
Hier aber kommt die Art und Weise ins Spiel, auf die der Imperialismus mit solchen Themen umgeht bzw. eben nicht umgeht. Gemeint ist natürlich primär das leidige Thema "Medien". Die vorgebliche Ablehnung des Faschismus durch den heutigen Imperialismus vermittels der Medien (daher der Name) ist insofern nicht echt und nicht antifaschistisch, als daß es auf gesellschaftlicher Ebene keine Entnazifierung und Bekämpfung von faschistischen Strukturen und Denkweisen gibt, sondern stattdessen ein wehrhafter „Anstrich“ gepflegt wird, und dieser nichteinmal besonders gut und glaubwürdig. Peter Hacks' durchaus nicht witzige Bermerkung, der Kapitalismus denke sich für schlechte Waren keine Verbesserungen, sondern neue Reklamekampagnen aus, lässt sich, wie man sieht, gut auf das hier beobachtete Prinzip übertragen. Guido Knopp, das ist die „Geiz ist geil“-Kampagne der bürgerlich-rechtskonservativen Nazitadelung.
Bevor wir nun aber zu den jungen Leuten und deren Rezeption dieser antifaschistischen Reklame kommen, muss man einige Dinge über junge Gemüter feststellen, die keineswegs polemisch gemeint sind, zwar wenig schmeichelhaft klingen, jedoch nicht aus der Welt zu leugnen und für junge Geister völlig normal, also nicht als Vorwurf gedacht sind. Problematisch ist, daß sich einige der nun folgenden Probleme auch bei älteren Menschen finden, bei denen sie sich also nichtmehr durch die Jugend erklären lassen. Diese Feststellungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bilden auch kein Gesetz, ich bilde mir doch aber ein, sie seien wesentlich und bildeten zumindest eine Regel. Ausnahmen sind, wie immer, ausgenommen.
Jugendliche versuchen ab einem gewissen Alter, dem nämlich, in dem sie mit den ersten Problemen, Schwierigkeiten und Aporien konfrontiert sind, diese Sachverhalte zu erfassen, sie zu systematisieren, zu durchschauen und, so unmöglich das immer sein mag, sie zu lösen. Die Schemata, die sie hierbei zu erkennen glauben und doch selbst formen, sind selbst nicht unproblematisch, sind sie doch gerade komplex genug, als daß die junge Seele sich mittels ihrer und einer gehörigen Portion Unkenntnis einen Reim auf seine ganz eigenen und akuten Probleme machen kann, und viel zu einfach, als daß irgendwelche Umstände sich gänzlich hineinzwängen ließen, von der Welt in ihrer Gesamtheit ganz zu schweigen. (Diese letzte These ließe sich übrigens auch auf den Kopf stellen: leicht genug, als daß man sich in ihnen zurecht findet, aber zu komplex bzw. verworren, als daß irgendetwas so funktionieren könnte. Andere Ebene, umgekehrte Formulierung, selbes Problem.) Ganz selbstverständliche Prozesse sind hierbei Moralisierungsvorgänge, Suche von Feindbildern, aber auch, und das mag im ersten Moment widersinnig klingen, Positivismus und Faktengläubigkeit. Die Denkschwierigkeit hier lässt sich recht leicht auflösen, sie liegt in dem alten Scholastikwitz, bei dem ein frommer Mensch versucht, die Welt zu erklären: Auf jeden Fall komme am Ende Gott dabei heraus, jetzt müsse er das nur noch beweisen. Faktenselektion und Selbsttäuschung sind hier Schlagwörter. Ich habe vorhin einen Sprung gemacht, von den persönlichen, sicher nicht einzigartigen Problemen unserer jungen Freunde, die sie mittels ihrer zurechtgelegten Schubladen im Schädel in Ordnung zu bringen versuchen, zur Weltproblematik. Diesen Sprung machen die Jugendlichen selbst eben auch, sie stoßen irgendwann zwangsläufig auf eine Welt, die sie nicht verstehen und als schwierig und wenig wünschenswert empfinden und haben aber glücklicherweise bereits vor der Untersuchung derselben Antworten parat, die bis jetzt eben mehr oder minder gut funktioniert haben und deshalb, hier liegt die Fehlannahme, ja auch weiterhin funktionieren sollten. Von außen betrachtet ist es natürlich leicht zu erkennen, daß man eklatanten Taschengeldmangel und das Handelsembargo gegen Kuba nicht mit denselben Mitteln und auf derselben Ebene erklären kann, aber so albern es klingen mag, genau dieser Prozess liegt vor. Die Vorstellung, jede Wahrheit müsse einfach und leicht erkennbar sein, ist eben ganz kindlich und naiv und im jungen Alter normal. Bevor ich nun endlich zum eigentlichen Thema zurückkomme, sei noch erwähnt, daß die Art und Ausprägung der gerade beschriebenen Entwicklung eine individuelle Frage ist, nicht selten lautet die Frage: Wer nimmt die jungen Leute bei der Hand?
Womit wir bei unseren plakativ antifaschistischen Medien wären. Diese machen im Grunde nichts anderes, als es der Anführer der örtlichen Neonazi-Clique macht, nur eben in einem größeren Maße und einer vorgeblich anderen Richtung. Dieser Berührungspunkt mit jener Form des Denkens und Argumentierens ist notwendigerweise der erste, wir treffen, wie Hacks es so schön sagt, mit den Urteilen über Dinge früher zusammen als mit den Dingen selbst. Zu dem Zeitpunkt, an dem der junge Antifaschist sich zu einem jungen Linken, einem Sozialisten oder sonstwas entwickelt, ist es meist schon zu spät, es sei denn, unser Jungspund ist überdurchschnittlich kritisch und denkfähig. Denn ansonsten geht, man befindet sich ja nach wie vor im jugendlichen Alter, das Spiel von vorne los, die Schubkästen werden neu geordnet. Die bürgerlichen Medien sind ab diesem Zeitpunkt natürlich der Böse, aber die Tatsache, daß sie die oben beschriebenen Eigenarten der jugendlichen Psyche auf solche Art benutzt und instrumentalisiert haben, lässt sich nicht mehr wegwischen, an die Stelle des ZDF tritt dann eben der MLPD-Zirkel, wenn der Jugendliche Pech hat. Nichts anderes bei Nazis: Papa verliert den Job und beschuldigt die Ausländer, die Medien (und hieran sieht man, daß deren Ausrichtung unwesentlich und die Denkweise aber wesentlich ist) fördern diese Form der Argumentation bzw. haben sie zu diesem Zeitpunkt bereits gefördert, mit dem gleichen Recht und im gleichen Maß, wie die Medien antifaschistisch sind können sie ja auch faschistisch sein, kein Hindernis liegt ihnen hierbei im Weg. Der junge Kamerad gerät dann an den oben genannten Anführer der Dorfnazis oder bleibt sein ganzes Leben ein erzkonservativer rechter Nörgler, der seinen Arbeitskollegen erzählt, die „müsste man alle aufhängen“.
Ich denke, ich habe den Prozess der Prägung hiermit vorerst hinreichend beschrieben, wenn auch nicht bewiesen. Ich halte Beweise in diesem Fall nicht für nötig. Muss man heute beweisen, daß Jugendliche doof sind, dann muss man morgen früh den Kaffee beweisen, es kann und soll hier nicht erfolgen. Zweifesohne ließe sich diese Thematik noch ausführlicher und besser untersuchen und darlegen, als eine grundsätzliche Orientierung sollte der vorliegende Text aber ersteinmal reichen.
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