Zitat:
Die Diktatur der Bourgeosie bedeutet die Herrschaft der Klasse der Bourgeosie über das Proletariat, also Kapitalismus. Die Prodkuktionsmittel sind im Privateigetum, der Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit besteht.
Nein. Nach dieser Definition hätte die Diktatur der Bourgeoisie existiert, seit die Bourgeoisie existiert. Denn die Bourgeoisie hat von Beginn ihrer Existenz an die Ausbeutung von Arbeitern bedeutet. Wir hätten demnach bereits mitten im Hochfeudalismus, wo erste Kapitalverhältnisse entstanden, Diktatur der Bourgeoisie gehabt. Was, wie der Verständige leicht einsieht, Unsinn ist.
Diktatur einer Klasse bedeutet, daß diese Klasse der gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzwingt, also die Gesamtwebegung der Gesellschaft bestimmt. Das war gegeben z.B. im Fall der Herrschaft der Grundherren im Hochmittelalter und das ist gegeben im 20. Jahrhundert durch das Monopolkapital. Nicht gegeben war es in der frühen Neuzeit sowie im 19. Jahrhundert. Das Merkmal dieser Epoche (15.-19. Jh.) ist, daß von den beiden Klassen, die überhaupt zu herrschen imstande gewesen wären, Landadel und Bourgeoisie/Gentry, keine der beiden geherrscht hat. Das Königtum und im 19. Jahrhundert die bonapartische Verwaltung waren nicht abhängig vom Diktat einer Klasse. Sie waren nicht Machtinstrument der herrschenden Klasse, weil es keine herrschende Klasse gab. (siehe hierzu z.B. Engels' Schrift vom
Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats - Engels weist ausdrücklich daraufhin, daß es Zustände in Klassengesellschaften gab, in denen keine Klasse geherrscht hat).
Zitat:
Im Sozialismus herrschte die Klasse des Proletariats über die Minderheit der Ausbeuter, also die Diktatur des Proletariats.
Falsch. Im Sozialismus gab es keine Ausbeuterklasse. Mit der Enteignung des Kapitals hatte sich die Klasse der Kapitalisten aufgelöst. Und für die Arbeiter selbst bedeutete die Abschaffung der Ausbeutung nicht nur bereits den abschließenden Sieg über die Bourgeoisie, sondern zugleich auch die Veränderung des eigenen Klassencharakters. Sie selbst wurden eine andere Klasse. Nach deiner Definition bestand der Sozialismus darin, daß eine in ihm nicht mehr existente Klasse von einer in ihm nicht mehr existenten Klasse unterdrückt wurde, was, gelinde gesagt, ziemlich absurd ist.
Ich will es aber nicht gelinde sagen. Wenn man über die Struktur einer Gesellschaft reden will, muß man die Struktur dieser Gesellschaft betrachten. Da reicht es nicht hin, bei Marx und seinen einfachen Vorstellungen hängenzubleiben. Da muß man sich den Gegenstand selbst ansehen. Dir geraten dabei aber beständig zwei Ebenen durcheinander: 1. die ökonomische Struktur der Gesellschaft; 2. ihre politische Struktur.
1. Es gab im Sozialismus drei Klassen. Arbeiter, Kollektiveigentümer und Privatproduzenten. Keine dieser Klassen stand mit einer anderen in einem Ausbeutungsverhältnis. Keine dieser Klassen konnte ergo eine Ausbeuterklasse sein. (Die Privatproduzenten besaßen immerhin die Möglichkeit, Lohnarbeit zu nehmen, aber das war gesetzlich sehr stark eingeschränkt, ganz abgesehen davon, daß Privatproduktion nur in bestimmten Wirtschaftszweigen und auch dort nur in bestimmten Maße und unter staatlicher Kontrolle und Einbindung in die Planung gestattet war.) Das allein reicht schon aus, den Unsinn von der "Klasse des Proletariats" die "über die Minderheit der Ausbeuter" herrscht, in Frage zu stellen. Weil es letztere überhaupt nicht gab.
2. Von der Herrschaft einer Klasse kann nur gesprochen werden, wenn eine politische Struktur vorhanden ist, die es dieser Klasse entweder gestattet, selbst zu herrschen (so etwa die Partikularität des Heiligen Römischen Reichs dt. Nation) oder direkt zu ihrem Machtinstrument zu werden (wie etwa im Fall unserer Gegenwart, des Monopolkapitalismus, wo ein ausdifferenziertes Lobbysystem den Einfluß von Kapitalverbänden auf die Politik sichert.) Beides war während des Sozialismus nicht gegeben. Die Politik des Landes wurde bestimmt durch die Regierung (zu Ulbrichts Zeiten war das der Staatsrat, zu Honeckers Zeiten eher das Politbüro). Es gab keinen Mechanismus, der der Arbeiterklasse Einfluß auf die Tätigkeit der Regierung möglich gemacht hätte. Sie war einfach davon abhängig, daß die Partei- bzw. Landesführung eine Politik in ihrem Sinne betrieb. Das kann einem gefallen oder nicht, aber:
so war es.
Ich sehe mit der These von der Diktatur des Proletariats im wesentlichen zwei Probleme: Zum einen, wie demonstriert, entspricht sie nicht der Wirklichkeit. Das andere Problem aber ist, daß sie viel zu dünn, viel zu einfach ist, die komplexe Natur der sozialistischen Gesellschaft zu erfassen. Wie ist diese Theorie denn zustande gekommen? Marxens Gedankengang ist doch ganz offenkundig: Kapitalisten unterdrücken Arbeiter, Arbeiter machen Revolution und führen die klassenlose Gesellschaft ein. Aber für eine gewisse Übergangsphase ist die Revolution instabil und noch restaurierbar; für diese Phase befarf es dann einer Diktatur des Proletariats, die den Rückwärtsgang der Geschichte verhindert, die volle Erlangung der Diktatur des Proletriats ist dann zugleich, wie Marx in einem Bakunin-Kommentar schreibt, ihre eigene Negation. - Und das soll nun der Begriff sein, durch den sich die hochkomplexe historische Erscheinung des Sozialismus fassen läßt? Man sieht doch leicht, daß Marxens Denkmodell 1. vollkommen ohne nähere Bestimmung politischer Verfahren ist, also ganz abstrakt gedacht ist; 2. ist deutlich, daß es sich um eine ganz simple Negation handelt: Die einfache gedankliche Umkehrung der kapitalistischen Verhältnisse; was in der Wirklichkeit nie geschehen ist, denn der Sozialismus war nicht der vom Kopf auf die Füße gestellte Kapitalismus, keine leere Negation, sondern, mit Hegel zu sprechen, eine bestimmte Negation, die Erzeugung einer neuen Qualität also, die Marx natürlich nicht kennen konnte; und das führt mich zu: 3. Es ist unübersehbar, daß für Marx die Diktatur des Proletariats eine kurze Übergangsphase sei sollte, ein künstlich generierter Zustand, der keinesfalls für sich in Anspruch nehmen kann, eine eigene Gesellschaftsformation zu sein; der Sozialismus war aber eine eigenständige Gesellschaftsformation, er besaß eine eigentümliche Klassenstruktur, höchst eigentümliche Widersprüche, ein spezifisches Basis-Überbau-Verhältnis, er war also kurzum ein komplexes Geflecht verschiedenener Bestimmheiten, die in einem Zusammenhang zueinandergebracht eine eigentümliche Bewegungsform erzeugten.
Worauf es ankommt, das ist, die reale Struktur des Sozialismus zu verstehen. Nicht ankommt es dagegen darauf, das Bild, das Marx sich, bevor sie bestand, von dieser Gesellschaft, die er ja nicht einmal für eine Gesellschaft hielt, gemacht hat. Wie jeder andere Mensch auf dieser Welt war Karl Marx von dem abhängig, was ihn umgab. Jeder, der ein materialistisches Geschichtsbild besitzt, muß einsehen, daß man die Natur von historischen Gegenständen (als auch von Gesellschaftsformationen) nicht verstehen kann, bevor sie materiell, d.h. bevor sie in der Welt sind. Selbst der klügste Kopf versagt, wenn er Prognosen der Zukunft macht, weil das, was er nur kann, eben bestenfalls das ist, daß er die ihn umgebenen Verhältnisse auf den Begriff bringt und dann allenfalls noch deren Negation ableiten kann. Auch Marx konnte nur die Struktur der Kapitalgesellschaft auf den Begriff bringen und dann ihre Negation ableiten. Deswegen stimmt seine Theorie, was den Kapitalismus angeht, aufs Haar, aber was die Verhältnisse jenseits des Kapitalismus angeht, hat sie ihre Grenzen.
Daß die marxistische Tradition wiederum sich bis heute nicht von dem in die Irre führenden Begriff der Diktatur des Proletariats getrennt hat, liegt nicht daran, daß sie etwa übersehen hätte, wie wenig er der Wirklichkeit entspricht (wie eifrig beschäftigtigte sie sich nicht darin, ihn durch eine Reihe Zusatzbestimmungen wie dem "Bündnis mit der Bauernschaft" oder der "Führung der Partei" aufrechtzuerhalten!), sondern es lag an dem einfachsten aller Grundsätze der marxistischen Ideologie: Stelle dich nie unnötig in Widerspruch zu den Klassikern. - So essentiell dieser Grundsatz in Bezug auf das politische Wirken aber auch ist, so schädlich ist er indes für die Wissenschaft. Dort wo der Ideologie glücklich wird, kann es der Wissenschaftler nicht sein.
Zitat:
Zur Staatsfrage allgemein. Marx und Engls kamen nicht ohne weiteres auf das Absterben des Staates. Sie folgterten seine Zukunft aus seiner Genese. Er enstand als unterdrückender Apparat, als von der Volksmasse unabhängige öffentliche Gewalt, beim Übergang von der Gentilverfassung zum Klassenstaat. Erst als die Menschen die Herrschaft über die Produktion verloren, die sie noch in ihren Gents besaßen, sukzessive durch die Teilung der Arbeit, Warenproduktion, Warentausch und Geldverkehr verloren sie die Macht über die Ausübung der Gestaltung ihrer Gesellschaft, wurde die öffentliche Gewalt Unterdrückungsapparat der herrschenden Klasse.
Zur Staatsfrage allgemein.
1. Deine Wiedergabe der Auffassung von Marx und Engels ist unvollständig. Ich übergehe jetzt den Umstand, daß es in dieser Frage zwischen Marx und Engels durchaus Differenzen gibt, und komme gleich zur Hauptsache: Die wissenschaftlich befriedigenste und ausführlichste Darlegung der Genese des Staates finden wir beim späten Engels, am Bsp. der attischen Polis. Nur steht es dort etwas komplexer, als du es referierst. Bei dir liest sich die Genese so: Da gab es einen Urzustand, in dem alles bestens war und alle Mitglieder der Gesellschaft, ohne sich gegenseitig zu unterdrücken, miteinander lebten. Dann gab es - du schreibst es nicht, aber meinst es - Mehrprodukt, folglich Warenproduktion und Privatarbeiten, und schließlich Ausbeutung. Dann wurde als Konsequenz dieser ökonomischen Ungerechtigkeit die politische Ungerechtigkeit, der Staat, geschaffen. Soweit deine Wiedergabe der marxistischen Theorie. - Kommen wir zu Engels. Der leitet die Entstehung des Staates nicht einfach aus der Existenz von Ausbeutungsverhältnissen her, sondern aus den daraus entstehenden Widersprüchen. Der Existenzkampf der Klassen bringt die Gesellschaft selbst an den Rand der Existenz, die Zustände sind nicht länger haltbar. Das Athener Polis droht zu zerreißen. Das Treiben der Aristokratie gegen die Kleinbauern, die in die Schuldknechtschaft (also in die Leibeigenschaft) geraten, nimmt solche Ausmaße an, daß die attische Polis sich in einem andauernden Bürgerkrieg befindet. Hieraus erwuchs die Notwendigkeit der Bildung eines Instrumentariums, das zunächst überhaupt nicht als Machtmittel der herrschenden Klasse fungiert, sondern den Widerspruch zwischen den Klassen vermitteln und in erträgliche Bahnen lenken soll, was sie nur kann, wenn sie auch unabhängig von der ausbeutenden Klasse der Aristokratie ist. Der Staat ist also nicht ein Instrument, das die ausbeutende Klasse sich geschaffen hat, um besser herrschen zu können, sondern er entstand aus der Notwendigkeit der Vermittlung von Klassenkämpfen. Indem er aber, so Engels, die Gesamtverhältnisse stabilisiert und die Ausbeutung nicht an sich in Frage stellt, sondern durch ihre Abschwächung sogar existenzsicherer macht, ist der Staat letztlich ein Instrument der Klassenherrschaft. Ich halte letzteren Gedanken für fragwürdig, aber in jedem Fall muß zunächst deutlich betont werden, daß die Theorie von der Entstehung des Staates bei Engels
vollkommen anders dargestellt ist als in deiner Wiedergabe.
[Anmerkung: Bis eben habe ich nur davon gesprochen, was bei Engels steht. Das war nötig, denn da ich im folgenden die Theorie vom Absterben des Staates kritisieren werde, war es zunächst notwendig, deine Darstellung der orthodoxen ML-Theorie von den Verzerrungen zu befreien, die du, damit sie besser in deine Zwecke paßt, ihr angetan hast. Es hat mich noch nie je gestört, im Widerspruch zu irgendeiner Auffassung von Marx & beyond zu stehen, aber das übliche Erlebnis, das ich bei aus solchen Umständen entstehenden Debatten habe, das ist, daß ich den eifrigen Streitern für die echte ML-Lehre zunächst einmal erklären mußte, was diese überhaupt beinhaltet. Leider macht auch diese Diskussion davon keine Ausnahme.]
2. also die These von der Genese des Staates, aus der dessen Untergang abgeleitet wird. Ich halte dafür, daß Marx und Engels in der Frage wahren Bockmist reden. Und ich kann es sogar beweisen. Sie geben sich ja gern logisch zwingend, sind es aber nicht. Ihr Schluß geht so: Der Staat ist durch die Klassengesellschaft entstanden, also muß er, wenn die Klassengesellschaft verschwindet, auch wieder verschwinden. - Das klingt nicht wirklich überzeugend. Wie ist denn die logische Struktur des Satzes? :
Wenn A so B, folglich: Wenn nicht-A, so nicht-B. Mit diesem Schluß würde jeder Student durch die Logik-Prüfung fallen. Ich kann aus nicht-A nur dann nicht-B folgern, wenn ich auch sicher weiß, daß A die alleinige und einzige Bedingung für B ist. Auf unsere Staatstheorie übertragen heißt das: Das Verschwinden des Staates kann nur dann aus dem Verschwinden der Klassengesellschaft gefolgert werden, wenn klar ist, daß die Klassengesellschaft auch wirklich die einzige Bedingung für seine Existenz ist. Ob das aber der Fall ist, kann ich wirklich sicher nur dann wissen, wenn ich versucht habe, ihn abzuschaffen. Erst dann nämlich werde ich sehen, ob nicht seine Entstehungsbedingungen so beschaffen waren, daß im Gepäck dieser Bedingungen nicht vielleicht auch noch andere Bedingungen enthalten waren, die hinreichende Gründe für die Staatsordnung sind.
Soweit für jetzt. Daß ich in dieser Frage einen bestimmten Verdacht habe, und ihn gut begründen kann, deute ich hiermit nur an. Dieser Beitrag enthält zunächst genug Material zum Nachdenken.